Kinderbibel als Kinderliteraturtipp
Es gibt wohl kaum ein Buch, das so oft adaptiert und für Kinder bearbeitet wurde, wie die Bibel. Zum Buch der Bücher, oder zur „besten Geschichte aller Zeiten“, wie Georg Langenhorst es ausdrückt, gibt es nicht nur viele Superlative, auch einen unglaublich vielfältigen Buchmarkt und man kann berechtigt die Frage stellen, warum es hier nun eine weitere Ausgabe braucht. Vorweg: Es braucht sie – sie überzeugt! Der Religionslehrer, Professor für katholische Religionspädagogik und Schriftsteller Georg Langenhorst entwirft hier eine komplexe Neuausgabe, die mit zeitgemäßen Mitteln die alten Geschichten angemessen aber zugänglich in Szene setzt. Dazu werden zwei Personen eingeführt, die in direkter Leseransprache durch das Buch führen. Das sind Maria Magdalena und der Apostel Thomas. Beide sind immer wieder in Bildpanels oder kleinen Vignetteneinschüben zu sehen. Sie kommentieren den Text der Geschichten, geben Hinweise auf Besonderheiten in den Lebensverhältnissen der damaligen Zeit, diskutieren über den Wirklichkeitsstatus der Geschichten und finden hier sehr griffige Erklärungen und schließlich legen sie auch Zeugnis ab über ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Jesus. Nebenbei bieten sie auch noch wichtige bibelwissenschaftliche Informationen zur Entstehung der Textsammlung und zu religionshistorischen Entwicklungen; neben der gemeinsamen Geschichte von Judentum und Christentum wird auch auf die Ansatzpunkte der muslimischen Heilsgeschichte Bezug genommen. Die ausgewählten Bibeltexte sind in 16 Abschnitte untergliedert, die auch den Aufbau der Bibel sichtbar machen und immer wieder von Maria und Thomas erläutert werden. Die Texte selbst sind vielfach sehr eng an den landläufigen Bibelübersetzungen orientiert, vorsichtig etwas gefälliger und in erzählerischem Duktus nachformuliert und mitunter mit kleinen Einsprengseln von erlebter Rede versehen, die auch direkter die Lesenden ansprechen, ohne aber historische und sperrige Formulierungen zu vermeiden, wo sie für die Atmosphäre und das Verständnis der Texte wichtig erscheinen.
Eine weitere Besonderheit des Buches sind die einzigartigen Bebilderungen durch Tobias Krejtschi. Die mitunter auch stereotyp überzeichneten reduzierten Figurenschemen sind digitale Farbflächenbilder in gedeckten Farben und digital erstellt. Sie verbinden die historische Szenerie der Texte mit modernen Bildelementen. Noahs Arche ist eine moderner Dampfer, Zachäus‘ Baum steht neben Schlagbaum und Wärterhäuschen, Noah verlässt mit Trolley den Walbauch wie auf einer Gangway. Das alles wird im Rahmen einer Bildgestaltung realisiert, die durchaus an historische Darstellungen erinnert und auch bekannte Kunstwerke zitiert und daher viele Wiedererkennungseffekte erzielt. Die Bilder werden dadurch einerseits ein wenig ironisch gebrochen, was den Lesespaße höht und für Überraschungen sorgt, ohne die Bildinhalte zu unterlaufen. Gleichzeitig werden die Texte aber auch in der Gegenwart verankert und die Geschichten der Bibel zeigen sich als Texte, die mit unserem heutigen Leben eng verbunden sind und dort Relevanz haben. Am Ende sind verschiedene Karten zu sehen, an denen die Lesenden aufgefordert sind, ihr erworbenes Wissen zu überprüfen und das historische Ereignis auch mit heutigen geografischen Gegebenheiten in Verbindung zu bringen.
Maria und Thomas lassen am Ende auch noch Jesus ganz persönlich zu Wort kommen. Hier wird auch noch einmal deutlich, dass die Bibel neben einem religionspädagogisch-aufklärerischen auch einem missionarischen Auftrag folgt.
Im Ganzen überzeugt diese Kinderbibel als wertig aufgemachtes und konzeptionell sowohl auf Bild- als auch auf Textebene absolut überzeugendes Werk. Gerade die Verbindung von historischem Text und modernen Formaten der Kommunikation in Text und Bild sind innovativ und erzeugen eine zeitgemäße Zugänglichkeit. Sehr zu empfehlen!
Prof. Dr. Michael Ritter
Dieser Artikel ist im EAK-Rundbrief zu Pfingsten 2020 erschienen.